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Zum Leben und Wirken von Sophie Scholl

Sophie Scholl zum 101. Geburtstag

© Deutsches Historisches Museum

Sophie Scholl wurde am 9. Mai 1921 als viertes Kind des damaligen dortigen Bürgermeisters Robert Scholl und dessen Frau Magdalena, genannt Lina, im Hohenlohischen Forchtenberg geboren, wo sie weitgehend unbeschwerte Kinderjahre verleben durfte. Der etwa im Alter von sieben Jahren aus ihrem Munde kommende, in ihrer Familie als Anekdote überlieferte Spruch "Die Brävste bin ich nicht, die Schönste will ich gar nicht sein, aber die Gescheiteste bin ich immer noch" kann als früher Hinweis auf Sophies eigenständiges Denken und ihren Freigeist verstanden werden.

Aufgrund der Abwahl des Vaters als Ortsvorsteher übersiedelte die Familie Mitte 1930 zunächst nach Ludwigsburg und im Frühjahr 1932 schließlich nach Ulm in die am Michelsberg gelegene Kernerstraße 29. Am 1. Oktober 1933 zogen die Scholls mit der zwölfjährigen Sophie in die Hausnummer 81 der damaligen „Adolf-Hitler-Straße“, die seit 1937 „Adolf-Hitler-Ring“ (mit Hausnummer 139) hieß und nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Olgastraße zurückbenannt wurde.

In diese Zeit fiel auch eine Phase glühender Begeisterung der Scholl-Kinder für den Nationalsozialismus, die sich entgegen den liberalen Überzeugungen der Eltern − und wohl auch in Abgrenzung zu diesen − vom "nationalsozialistischen Aufbruch“ mitreißen ließen. Sophies Schwester Inge Aicher-Scholl schrieb dazu später in ihrem Buch „Die Weiße Rose“: „Wir hörten viel vom Vaterland reden, von Kameradschaft, Volksgemeinschaft und Heimatliebe. Das imponierte uns, und wir horchten begeistert auf, wenn wir in der Schule oder auf der Straße davon sprechen hörten.“

Sophie übernahm seinerzeit die Leitung einer Jungmädel-Schar im Bund Deutscher Mädel (BDM) der Hitlerjugend. Sie führte mit ihrer Mädchengruppe Mutproben und Härtetests aus, praktizierte mit ihnen auch Ideale wie das bedingungslose Teilen mitgebrachten Proviants und Bargelds, was ihr – je nach Sympathie oder Antipathie – den Ruf einer wahren Christin oder einer heimlichen Kommunistin einbrachte.

Die im Herbst 1937 im Rahmen einer reichsweiten „Aktion gegen bündische Umtriebe“ erfolgte Verhaftung ihres älteren, in der Funktion eines Fähnleinführers in der Hitlerjugend stehenden Bruders Hans − bei der auch sie stundenweise mitinhaftiert war − bewirkte bei den Scholl-Kindern eine zunehmende innere Abstandsnahme vom Regime. In dem Maße, wie sie sich weltanschaulich vom Nationalsozialismus entfernten, erfolgte ihre Wiederannäherung an das von Offenheit und Toleranz geprägte Elternhaus, das ihnen Rückhalt und Unterstützung bot. Dabei kamen sie auch wieder stärker mit den insbesondere von der Mutter vertretenen christlichen Grundwerten in Kontakt. Inge Aicher-Scholl schrieb dazu in ihren Erinnerungen: „Die Familie wurde uns nun zu einer kleinen, festen Insel in dem unverständlichen und immer fremder werdenden Getriebe.“

Wirtschaftlich ging es der Familie Scholl in diesen Jahren gut, so dass sie im Frühjahr 1939 in eine großzügige, zentral gelegene Wohnung im vierten Geschoss des Jugendstilhauses Münsterplatz 33 umziehen konnte. Sophie Scholls politische Haltung dürfte sich in dieser Zeit noch deutlicher herausgeschält haben. So schrieb sie Mitte September 1939 - und damit wenige Tage nach dem Überfall auf Polen - ihrem Freund und späteren Verlobten Fritz Hartnagel, der in diesen Tagen als Wehrmachtsleutnant in den Schwarzwald an die potenzielle Westfront abgeordnet war:"Ich kann es nicht begreifen, dass nun dauernd Menschen in Lebensgefahr gebracht werden von andern Menschen. Ich kann es nie begreifen und finde es entsetzlich. Sag nicht, es ist fürs Vaterland"

Sophie Scholl absolvierte im Frühjahr 1940 ihr Abitur an der Mädchenoberrealschule und begann in der Hoffnung, dadurch dem ungeliebten Reichsarbeits-Dienst zu entgehen, eine von Mai 1940 bis Januar 1941 währende Ausbildung als Kindergärtnerin am evangelischen Fröbel-Seminar in der Königstr. 11 in Söflingen. Sophie Scholl beendete die Ausbildung zur Kindergärtnerin mit einem dreiwöchigen Praktikum, das sie ab Mitte März 1941 im Säuglingsheim des Vereins Säuglingsschutz Ulm e. V. in der Schubartstr. 5 ableistete, das vom Ulmer Kinderarzt Dr. Ziegler geleitet wurde. Anfang April 1941 wurde sie nun doch zum RAD eingezogen, den sie im Lager Krauchenwies bei Sigmaringen verbringen musste. Im Anschluss daran hatte sie ab Oktober 1941 noch ein halbes Jahr „Kriegshilfsdienst“, der inzwischen für Studierwillige eingeführt worden war, in einem NSV-Kinderhort in Blumberg bei Donaueschingen nahe an der Schweizer Grenze zu verrichten.

Am 18. Mai 1942 immatrikulierte sich Sophie Scholl an der Münchener Universität für die Fächer Biologie und Philosophie. Sie wurde sogleich in den Freundeskreis ihres dort seit 1939 im Medizinstudium befindlichen Bruders aufgenommen, wo sie alsbald mit dem Gedankengut der Widerstandsgruppe um ihn und Willi Graf, Christoph Probst und Alexander Schmorell in Berührung kam. Mit der nächtlichen Anbringung von Widerstandsparolen auf Hauswänden und mit Flugblättern prangerten die Studenten die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus an und riefen zum Sturz des Unrechtsstaates auf.

Sophie Scholl schloss sich der "Weißen Rose" an und engagierte sich bei der Herstellung und Verbreitung ihrer Flugblätter. Bei der Verteilung des letzten Flugblattes, das insbesondere die Niederlage von Stalingrad zum Inhalt hatte, wurden Sophie und Hans Scholl am 18. Februar 1943 im Lichthof der Münchener Universität verhaftet. Nach mehrtägigem Verhör durch die Gestapo wurde Sophie Scholl am 22. Februar 1943 zusammen mit ihrem Bruder und Christoph Probst wegen „Hochverrats“ von Roland Freisler, dem eigens nach München angereisten Präsidenten des „Volksgerichtshofs“, zum Tode verurteilt und noch am frühen Abend des gleichen Tages mit dem Fallbeil hingerichtet.

Sophie Scholls Verlobter Fritz Hartnagel beschrieb sie in seinen späteren Lebensjahren als ein "ganz normales Mädchen, mit Schwächen und Ängsten". Da Sophie nur wenige Menschen so intensiv kennengelernt haben dürften wie er, müsste diese Einschätzung sehr zutreffend sein. Dieses "ganz normale Mädchen" hat durch ihr eigenständiges, von enormer Klarheit geprägtes politisches Denken, durch das von ihr daraus konsequent abgeleitete mutige Handeln und durch das bedingungslose, auch mit der eigenen Lebensgefährdung verbundene Einstehen für ihre Überzeugungen Maßstäbe und Prinzipien für ein ethisches Handeln gesetzt, die bis zum heutigen Tage nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben.

Sophie Scholls Name steht somit vorbildhaft für ein waches, im positiven Sinne kritisches politisches Bewusstsein. Ihr Wertesystem stellt in Verbindung mit dem Denken und Handeln ihrer Mitstreiter in der "Weißen Rose" eine unbestechliche politisch-ethische Instanz unserer von jedem Bürger zu schützenden Demokratie dar, an der sich die Politik auch in heutigen Tagen zu messen hat.

Diese ethischen Prinzipien mögen uns Heutigen Aufmerksamkeit gegen jeglichen Machtmissbrauch verleihen und uns dazu inspirieren, gegen Unrecht und inhumanes Handeln - unabhängig davon, aus welcher Richtung es kommen möge - die Stimme zu erheben und dagegen aktiv zu werden. Wer Unrecht am Mitmenschen erkennt und dieses stillschweigend duldet, steht in einer Mitverantwortung und macht sich gewissermaßen unterlassener Hilfeleistung schuldig. Ist das Aussprechen von und das Einstehen für Wahrheiten gefragt, sollte sich ein jeder von uns diese junge Frau zum Vorbild nehmen

Derzeit sind weltweit demokratiefeindliche Tendenzen zu beobachten, zum Teil gewinnen sie sogar in etablierten Demokratien an Boden. Deshalb liegt es an jedem von uns, wachsam zu sein - im Alltag, spätestens aber an der Wahlurne, wenn es darum geht, die Volksvertreter für Kommunen, Land, Bund oder Europa zu bestimmen. Versuche, das demokratische System zu unterwandern, dürfen wir nicht einfach hinnehmen. Besonders erschreckend ist hierbei, dass solche Versuche oft im Namen derer ausgeübt werden, die sich mit ihrem Leben für Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit eingesetzt haben. Doch wer scheinbaren Widerstand heraufbeschwören will und politische Aktivitäten entfaltet, um Defizite zu kompensieren und seinen Machtgelüsten zu frönen, der steht nicht im Geist der Widerstandskämpfer der "Weißen Rose".

Als dauerhafte Erinnerung und Mahnung, wie essenziell die Beachtung humanitärer und tatsächlich dem Gemeinwohl dienender Spielregeln ist, sollen die in Ulm zu findenden Erinnerungszeichen für Hans und Sophie Scholl betrachtet werden. Wenn dies geschieht, hätte Sophie Scholls Mission, für die sie mit ihrem Leben eingestanden ist, im Nachhinein sicherlich die von ihr gewünschten Früchte getragen. Es liegt an uns allen, ihrem und dem gewaltsamen Tod der weiteren Angehörigen der "Weißen Rose" diese Sinnhaftigkeit zu verleihen. Und es liegt allerdings ebenfalls an uns, politischen Vereinnahmungen, die den Kern von Sophie Scholls Botschaft geradezu in ihr Gegenteil verkehren möchten, eine deutliche Absage zu erteilen.

Text: Ulrich Seemüller

In Auswahl und chronologischer Auflistung nach Erscheinung

Inge Aicher-Scholl
Die Weiße Rose, Frankfurt am Main 1952, erweiterte Ausgabe 1998
Hermann Vinke
Das kurze Leben von Sophie Scholl, Ravensburg 1980
Inge Jens (Hrsg.)
Hans Scholl − Sophie Scholl. Briefe und Aufzeichnungen, Frankfurt am Main 1984
Barbara Leisner
Ich würde es genauso wieder machen". Sophie Scholl, München 2000
Werner Milstein
Mut zum Widerstand. Sophie Scholl, ein Porträt, Neukirchen-Vluyn 2003
Fred Breinersdorfer (Hrsg.)
Sophie Scholl. Die letzten Tage, Frankfurt am Main 2005
Thomas Hartnagel (Hrsg.)
Sophie Scholl − Fritz Hartnagel. "Damit wir uns nicht verlieren". Briefwechsel 1937-1943, Frankfurt am Main 2005
Hermann Vinke
Hoffentlich schreibst Du recht bald.“ Sophie Scholl und Fritz Hartnagel, eine Freundschaft 1937–1943, Ravensburg 2006
Barbara Sichtermann
Wer war Sophie Scholl?, Berlin 2008
Barbara Beuys
Sophie Scholl. Biografie, München 2010
Bernd Aretz
Sophie Scholl. Der Mut, sich selbst treu zu sein. Ein Lebensbild, München 2013
Maren Gottschalk
"Schluss. Jetzt werde ich etwas tun". Die Lebensgeschichte der Sophie Scholl, Weinheim/Basel 2016
Maren Gottschalk
"Wie schwer ein Menschenleben wiegt". Sophie Scholl. Eine Biografie, München 2020
Robert M. Zoske
Sophie Scholl. "Es reut mich nichts". Porträt einer Widerständigen, Berlin 2020
Simone Frieling
Sophie Scholl. Aufstand des Gewissens, Berlin 2021