Das Ulmer Wappen
"Ulmerschild, Wappen Ulms, waagrecht geteilt, oben schwarz, unten weiß." So erklärt Professor Dr. Georg Veesenmayer ein Substantiv, das früher so geläufig oder so wichtig gewesen zu sein scheint, dass es der Philologe in seine Ulmer Vokabel-Sammlung aufgenommen hat. Die ist in der Oberamtsbeschreibung von 1897 zu finden.
Es spricht durchaus für die Ulmer, sich in der Wahl ihrer Farben für das Eindeutige entschieden und auf das Wesentlichste beschränkt zu haben, ganz im digitalen Sinne von Matthäus 5, Vers 37, der da schreibt: "Eure Rede sei: ja, ja; nein, nein! Was darüber ist, das ist vom Übel."
Aber warum haben sie ausgerechnet diese Kombination gewählt und wann haben sie sich dafür entschieden? Zum ersten Mal erscheint der schwarz-weiß bzw. - heraldisch korrekt gesprochen - der schwarz-silbern geteilte Schild in einem Ulmer Sekret-Siegel. Das trägt die Jahreszahl 1381, die etwas undeutlich geschnitten ist und daher lange Zeit als „1351“ gelesen wurde. Das Siegelbild zeigt einen gekrönten Reichsadler, über dem ein Engel schwebt. Mit seinen Krallen umklammert der Aar den geteilten Schild.
Für diese Farbenwahl scheint es keinen hervorragenden Grund gegeben zu haben. Dies zumindest könnte erklären, dass die Ursache bereits kurze Zeit später so gründlich vergessen war, dass sie seither Gegenstand von Spekulationen ist. Deren größte Auswahl, nämlich fünf an der Zahl, bietet Felix Fabri in seiner Beschreibung der Stadt Ulm an. Die hat er 1488/89 niedergeschrieben - also nur knapp über hundert Jahre nach dem ersten Erscheinen des Ulmer Wappens, welches er übrigens an den Seitenrand seiner Betrachtungen gepinselt hat. Seine Illustration ist die älteste gemalte Fassung des Ulmerschildes, die noch erhalten ist.
Und so lauten Fabris Interpretationsversuche:
1. Es gebe eine Überlieferung, so berichtet er, wonach Ulm eine Gründung der Herren von Klingenberg sei, von denen im übrigen auch die nahe Burg Klingenstein ihren Namen habe. Zum Zeichen dafür haben sie den Ulmern ihre Abzeichen gegeben: Wappen, Fahne und Schild, mit zwei sehr edlen Farben, Schwarz und Weiß geschmückt.
2. Einige sagen jedoch, auf andere Weise sei den Ulmern das Schwarz und Weiß von einem Kaiser, nämlich Karl, gegeben worden, der, als er sie dem Abt von Au [Reichenau] zu eigen gab, ihnen die Farben der Kleidung dieser Mönche, Schwarz oben, Weiß unten verlieh.
3. Andere sagen, ein Abt von Au habe ihnen diese Farben zu Ehren seiner Abstammung und zur Erinnerung daran gegeben, dass dieser Abt einer von dem Geschlecht Klingaberg war.
4. Andere sagen, dass, als die Ulmer ihre Stadt mit Mauern umschlossen hatten und die Stadt von Tag zu Tag größer wurde, sie den Kaiser viele Jahre um ein Abzeichen einer Fahne und eines Schildes baten, endlich aber der Kaiser, besiegt, ungeduldig das Taschentuch, das er in der Hand trug, in den Schmutz warf, indem er das Tüchlein mit dem Fuß in den Schmutz hineinstieß, dessen unterer Teil jedoch aus Zufall, nicht absichtlich, außen blieb. Indem nun der Kaiser das zum Teil beschmutzte Taschentuch aufhob, hielt er es den Bittenden hin und sagte: „Die Abzeichen! und was sonst verdienen schmutzige Bauern als ein solch schmutziges Abzeichen?“ Daher nahmen sie es an, fanden es schwarz und weiß gefärbt und malten danach ihre Fahnen, Wappen und Schilde.
5. Andere sagen, dass zu der Zeit, als die Sueven [Schwaben] die Stadt Siena erbauten, (...) die Ulmer durch ihre denkwürdige Anstrengung mit der Zustimmung aller Fürsten verdient haben, die Abzeichen dieser Stadt umgekehrt zu tragen. Es haben nämlich die Einwohner von Siena das Weiß oben und das Schwarz unten, die Ulmer aber umgekehrt.
Über die Ulmer Stadtfarben hat sich auch der Münster-Prediger Markus Wollaib ausgelassen. In seiner 1709 erschienenen Schrift Schwartz und Weiß, Erklärt und außgelegt nach Inhalt diß XIII. Psalm Königs und Propheten Davids, Darinnen zugleich, als einem Koniglichen Wappen-Brieff Das Ulmische Stadt-Wappen Auß schwartz und weisser Farb bestehend ...(usw. usw.) liefert er eine theologische Schwarz-Weiß-Malerei, die so langatmig ist, wie schon der Titel befürchten lässt. Doch enthält sie dankenswerterweise folgendes hübsche Detail zu jener Version des Wappens, in der die obere Hälfte nicht mit schwarzer Farbe ausgefüllt, sondern das Schwarz durch sich kreuzende Striche angedeutet ist:
Und wann wir den Wappen-Schild uns nur mit seinen äußersten und mitleren Zwerch-Strichen, auch den oberen schwartzen Theil, der mehrmalen nur mit geschrenckten Strichen vorgestellet, umgekehrt einbilden, stellet ein solcher einen geflochtenen Korb mit einem Bogen nicht ohnähnlich vor; daher die [städtischen] Werck-Leute, wann sie solch Wappen auf ihrem [vermutlich stadteigenen] Werck-Zeug sehen, solches einen Maul-Korb zunennen pflegen.
Eine freundlichere Erklärung findet Michael Dieterich in seiner 1825 erschienenen Beschreibung der Stadt Ulm. Er stellt zur Diskussion, dass die Farben des Ulmerschilds an den Handel mit weißer Leinwand und weißem wie schwarzem Barchent erinnern sollen. Barchent war ein Mischgewebe aus Leinen und Baumwolle. Es wurde in Ulm in solcher Qualität produziert, dass ein Barchent-Ballen mit dem Ulmer Gütesiegel so gut wie bares Geld war. Vom Barchent-Handel, so begründet Dieterich seine Interpretation, sei im 14. Jahrhundert, als der geteilte Schild erstmals erscheint, zu hoffen gewesen, „dass er nach und nach recht blühend und zuletzt die vorzüglichste Quelle des Reichtums und der politischen Macht der Stadt werden würde“.
Diese Version lehnt der Ulmer Wappenkundler Eugen Kurz ab, der sich Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts seinerseits Gedanken über den Ursprung des Ulmerschilds gemacht hat. Er weist darauf hin, dass dessen Entstehung in die Zeit der „praktischen Heraldik“ fällt, als der Hauptzweck des Wappens der praktische Gebrauch in kriegerischen Auseinandersetzungen war. Ein solches klar erkennbares Zeichen half, Freund und Feind zu unterscheiden. Die Ulmer hatten die einfachste Form des Wappens gewählt, nämlich die einfach geteilte. Daraus schließt Kurz, dass Ulm eine der ersten Städte war, die sich ein Wappen zulegte.
Auch er hat eine Erklärung für die Farben, die er aus eben jener kriegerischen Verwendung herleitet. Als nämlich dieses Wappen in Gebrauch kam, standen Mitglieder der Patrizier-Familie Besserer an der Spitze der Ulmer Streitkräfte. Die Besserer wiederum führen in ihrem schwarzen Schild den silbernen Doppelbecher, und Silber verwandelt sich in den Wappen in Weiß, so wie Gold zu Gelb wird. „Da die Ulmer das Schwarz-Weiß (Silber) an den Helmdecken ihres Anführers sahen, dürfte wohl die Bemalung der Schilde der übrigen Ulmer Streiter nicht willkürlich gemacht worden sein, sondern den von ihrem Hauptmann geführten Farben entsprechend“, schreibt Kurz.
Ein weiterer Deutungsversuch zieht die innenpolitischen Verhältnisse in Betracht: Das Wappen ist erst 1381, nicht aber auf älteren Siegeln zu sehen. 1345 hatten in Ulm die Zünfte den Patriziern ihre Vormachtstellung genommen und ihre neue Überlegenheit verfassungsmäßig im Kleinen Schwörbrief zementiert. Wäre es abwegig, anzunehmen, dass die Zünfte ihren Erfolg schließlich auch selbstbewusst in Form ihrer Farben ins städtische Siegel gerückt hätten?
Die Stadtgeschichtsforschung hat auch diese Möglichkeit in Betracht gezogen, und so heißt es in einer Deutung des Stadtwappens durch das Stadtarchiv: „Entstanden ist der Ulmer Schild wahrscheinlich aus der schwarz-weißen Fahne der Ulmer Bürger aus den Zünften, die 1345 die Mitbeteiligung am Stadtregiment erzielten.“
Allerdings taucht dann gleich die nächste Frage auf, nämlich warum die Zünfte diesen ihren Schild nicht auch unter das Dokument ihres Macht-Ausbaus, den Großen Schwörbrief gehängt haben. Denn der ist wieder mit dem alten Adler besiegelt, welcher mit Stern und Lilie garniert ist.
Der Siegel-Forscher Volker Steck war es, der den oben erwähnten Lesefehler - 1351 statt 1381 - korrigiert hat. Die daraus folgende veränderte zeitliche Einordnung veranlasst ihn, den Deutungen von Dieterich (Farben der Ulmer Textil-Waren) und von Kurz (Farben der Stadthauptmänner Besserer) eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zuzubilligen.
In dieser Fülle von Erklärungsversuchen kann nun jeder die finden, die ihm passt: eine kriegerische, eine friedliche oder eine anekdotische. Festzuhalten bleibt allerdings: So klar der Ulmerschild in Form und Farbe ist, so unklar bleibt seine Herkunft.
Text: Henning Petershagen