Die "Smart Circular Bridge": Eine unkonventionelle Fußgängerbrücke für die kleine Blauinsel

Die "smart circular bridge" wurde als eine von zwei Brücken aus nachwachsenden Rohstoffen im Rahmen des EU-Projekts "Interreg" gebaut. Flachsfasern und Biopolymere ermöglichen eine völlig neuartige und nachhaltige Bauweise, die Rohstoffe spart und den CO2-Ausstoss entscheidend reduziert. Ein Monitoringsystem überwacht das Tragwerk permanent, liefert Erkenntnisse über die Belastungs- und Dauerhaftigkeit und gewährleistet Sicherheit. Für das Brückengeländer konnte ein völlig neues, robotergesteuertes Produktionsverfahren eingesetzt werden.
Die WebApp mit weiteren Informationen und dem Sound der Brücke finden Sie hier: Flachsbrücke Ulm

Die Stege und Schotten werden mit der Bodenplatte verklebt
Die Ulmer Brücke ist weltweit überhaupt die dritte Biokomposit-Brücke im Stadtraum. Gegenüber ihren Vorgängern ist die Konstruktion noch leichter und leistungsfähiger geworden. Es ist erstmals gelungen, dass nicht nur Fahrräder, sondern auch Autos über die Brücke fahren können.
Aufgrund der biogenen Materialien wiegt die neue Brücke nur etwa 5 Tonnen im Gegensatz zu 70 Tonnen des Bestandsbauwerks. Diese Gewichtsreduzierung ermöglichte es außerdem, weite Teile der bestehenden Gründung weiterzuverwenden, was in der Betrachtung des gesamten Lebenszyklusses zu einer erheblichen CO2-Reduktion führt.
Mit diesem Erfolg der Konstrukteure lassen sich künftig viele neue Anwendungen für das innovative Material erschließen. Dies gilt für den Hoch- und Tiefbau, aber auch für andere Wirtschaftsbranchen.

Flachs als dicke Schnur
Die Brücke ist ein wichtiger Baustein in der Entwicklung neuer Werkstoffe, die für das Klima weniger schädlich sind und eine biobasierte Kreislaufwirtschaft vorantreiben. Allein auf die Bauwirtschaft entfallen heute rund ein Drittel aller Treibhausgasemissionen und über 40 Prozent aller Abfälle. Daher sind hier Innovationen dringend erforderlich.
Die Nachhaltigkeit wird durch den Einsatz natürlicher Materialien - in diesem Fall Flachsfasern - in Kombination mit speziellem Recyclingharz deutlich verbessert, besonders im Vergleich zu traditionellen Bauweisen aus Stahl und Beton. Auch im Vergleich zu Holz hat Flachs Vorteile, denn es wächst schneller.
Mit dem Bau der "smart circular bridge" begibt sich die Stadt Ulm auch auf Neuland. Sie geht die großen, teilweise noch nicht gelösten Fragen des kreislaufgerechten Bauens an. Hier sieht sich die Stadt als Teil der internationalen Entwicklung der "circular economy", also der Kreislaufwirtschaft zur Mitentwickelung des Klima- und Ressourcenschutzes.

Belastungstest in der Werkhalle
Nachdem die erste Brücke 2022 in Almere/Niederlande erfolgreich in Betrieb genommen war, traten 2023 beim Bau der Ulmer Brücke neue technische Aspekte auf, die zur Fehlproduktion führten. Daraufhin wurden die Konstruktion und die Materialien noch einmal komplett überarbeitet. Bei der nun fertiggestellten zweiten Version hat die Stadt Ulm eine ingenieurtechnisch und gestalterisch einmalige, zukunftsweisende Brücke erhalten.
Die Stadt Ulm ist bereit, eine bis zu einem gewissen Grad ausgereifte Bauweise einzusetzen, um die Alltagstauglichkeit in Kooperation mit Forschungseinrichtungen zu erproben. Mit der Brücke in Ulm ist die Materialentwicklung bereits viele Schritte vorangekommen.
Die Brücke wird durch den Einsatz einer Sensorik (Structural Health Monitoring System) bezüglich des Materialverhaltens und des Alterungsprozesses in Echtzeit überwacht. Die Auswertung erfolgt mit Hilfe von künstlicher Intelligenz, um Muster, Trends und Optimierungspotential für zukünftige Bauwerke schneller erkennen zu können. Auch die end-of-life-Potenziale der Brücken werden im Forschungsprojekt mitbetrachtet. Dadurch können bereits jetzt Möglichkeiten zum mechanischen, chemischen und biologischen Recycling entwickelt werden.
Die Sound-Agentur KLANGERFINDER aus Stuttgart nutzt die eingebauten Belastungssensoren und entwickelte daraus ein interaktives Klangkunst-Konzept, das einen spielerischen Austausch mit der Brücke ermöglicht. Bewegungen der Fußgänger und Einwirkungen der Umwelt werden live in Klänge und Musik übersetzt. So wird die Interaktion zwischen Mensch, Natur und Bauwerk hörbar. Die WebApp mit dem Sound der Brücke finden Sie hier: Flachsbrüche Ulm
Die Ulmer Brücke ist Teil des von der EU geförderten Programms „Interreg“. Interreg ist eine Gemeinschaftsinitiative des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen EU-Mitgliedstaaten und benachbarten Nicht-EU-Ländern. Hierin bündeln sich drei übergeordnete Strategien der EU: die Klimaschutz-Strategie, die Circular Economy-Strategie und die Strategie zur Entwicklung biobasierter Werkstoffe. Alle drei Strategien haben ihre Entsprechungen auf Bundes- und Landesebene in Deutschland. Weitere Informationen zum Förderprojekt sind hier zu finden: Smart Circular Bridge (SCB) for pedestrians and cyclists in a circular built environment | Interreg NWE
Eine konventionelle Brücke aus Stahlträgern mit Holzbelag hätte 530.000 Euro gekostet.
Die innovative "smart circular bridge" hat die Stadt Ulm 680.000 Euro gekostet. Der Betrag setzt sich folgendermaßen zusammen:
- Die Sanierung des Unterbaus kostete 180.000 Euro. Sie wurde erforderlich, da erst nach dem Abbau der alten Brücke die Schäden am Unterbau und Widerlager festgestellt werden konnten.
- plus Herstellung der ersten, nicht funktionsfähigen Brücke: 135.000 Euro
- plus Herstellung des Geländers und Planung: 140.000 Euro
- plus Wiederholung des Brückenbaus: 320.000 Euro
- plus Fertigstellungskosten (Einhub, Anschlussflächen): 55.000 Euro
- abzüglich EU-Fördermittel von 150.000 Euro im Rahmen des Forschungsprojekt
Die Kostendifferenz bei der Belastung des städtischen Haushalts gegenüber einer konventionellen Brücke beträgt somit 680.000-530.000 = 150.000 Euro. Dies entspricht 28 Prozent.
Die Kostensteigerung geht im Wesentlichen auf die erforderliche umfangreiche Sanierung der Unterbaukonstruktion zurück, die erst nach dem Abbruch der alten Brücke ersichtlich wurde. Diese Sanierungskosten wären auch bei einer konventionellen Brückenkonstruktion angefallen.
Eine weitere Kostensteigerung entstand durch die Insolvenz eines Projektpartners und durch die Neuproduktion des Brückenkörpers.