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Hani und Gergo Shaker

Hani Shaker, ein junger Mann, steht in seinem Friseursalon.

© Hani Shaker

Hani hat sich mit seinem Bruder Gergo ein neues Leben in Ulm aufgebaut.

Wenn ein Krieg plötzlich von heute auf morgen in einem Land stattfindet, so sind es in erster Linie die Zivilisten, die schauen müssen, wie sie sich selbst retten, um zu überleben. So erging es auch den Eltern der Familie Shaker aus dem Irak, die 2015 ihre Heimat mit ihren Kindern, drei Jungen/ Männern und einem Mädchen, verlassen mussten. Die Söhne Hani Shaker, 29 Jahre alt, und sein Bruder Gergo Shaker, 23 Jahre alt, erzählen uns ihre Geschichte.

Wie seid ihr nach Deutschland gekommen? Was war der Grund?
Hani Shaker: Wegen des Krieges in unserem Heimatland Irak sind wir im August 2015 nach Deutschland gekommen, seit Oktober 2015 leben wir in Ulm. Außer unserem älteren Bruder sind wir alle geflohen. Meine Eltern hatten im Irak ein eigenes Haus und gute Berufe, wir haben alles hinter uns lassen müssen.

Wie schnell musstet ihr entscheiden, dass Ihr nun flüchten und eure Heimat verlassen werdet?
Hani Shaker: Wir hatten nicht viel Zeit, um die Flucht vorzubereiten. Meine Eltern hatten dort einen Lebensmittelladen, den sie aufgeben mussten. Unser älterer Bruder ist allerdings dortgeblieben. Wir hatten schon Angst um ihm. Aber glücklicherweise ist ihm nichts passiert. Heute ist die Lage entspannter und somit konnten wir im April nach 8 Jahren unser altes Zuhause und unseren Bruder besuchen.

Wie war die Flucht für euch?
Gergo Shaker: An die Flucht kann ich mich detailliert gar nicht mehr so genau erinnern. Wir waren ca. 50 Geflüchtete und wir mussten quasi immer in der Gruppe bleiben und mitlaufen. Es gab jemanden, der alle bei der Flucht begleitet hatte und uns durch die Länder geführt hatte. Es war eine Flucht, bei der wir viel zu Fuß unterwegs waren, aber auch mit dem Auto mitgefahren sind. Insgesamt waren wir circa einen Monat auf der Flucht, wobei wir 10 Tage unterwegs waren.
Hani Shaker: Wir sind einfach nur gelaufen oder haben uns fortbewegt - ohne dass wir viel gesehen oder gewusst hatten. Es war ein schwieriger Weg. Meistens wussten wir nicht, in welcher Stadt wir gerade waren oder wo wir uns befunden haben. Ich kann die einzelnen Etappen nicht einfach so wiedergeben oder genau beschreiben. Manchmal sind wir auch länger an einem Ort geblieben, z. B. in der Türkei, bis es dann weiterging.

Habt ihr euch Ulm ausgesucht?
Gergo Shaker: Ein Bruder von uns ist vorab nach Ulm gekommen und durch ihn sind wir hier gelandet. Wir fühlen uns in Ulm sehr wohl, ich bin hier sehr zufrieden. Ulm ist eine angenehme Stadt und auch nicht zu groß. Es war definitiv eine gute Wahl.
Hani Shaker: Es war uns wichtig, dass wir als Familie zusammenbleiben und hier einen guten Start haben können.

Was war das für ein Gefühl, in einem fremden Land anzukommen?

Hani Shaker: Wir waren sehr froh, als wir in Deutschland angekommen sind. Zunächst waren wir in Meßstetten bei Albstadt in einer Flüchtlingsunterkunft, dann sind wir nach Ulm gekommen.

Wie ging es nach eurer Ankunft in Ulm weiter?
Hani Shaker: Im Irak waren wir beide noch in der Schule, ich wollte eigentlich Mathe studieren – dann kam der Krieg und der hat mein ganzes Leben verändert. Wir haben sofort einen Deutschkurs besucht, denn wir wollten so schnell wie möglich die Sprache lernen. Zunächst hatte ich hier auch überlegt, Mathe zu studieren, habe mich aber dann für einen anderen Weg entschieden. Wir haben unseren Hauptschulabschluss gemacht und ich begann mit einer Ausbildung 2017 zum Friseur. Diese habe ich abgeschlossen und direkt meinen Meister 2021 gemacht. Zwei Monate nach meiner Meisterprüfung habe ich meinen eigenen Friseurladen eröffnet und mittlerweile eine Mitarbeiterin sowie einen weiteren Azubi und bald meinen Bruder als weiteren Azubi.
Gergo Shaker: Ich habe nach dem Realabschluss meine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann gemacht und 2022 abgeschlossen. Ich habe dann festgestellt, dass ich auch gerne als Friseur arbeiten möchte. Und somit bildet mein Bruder mich ab September nun zum Friseur aus.

Was sagen eure Eltern zu eurem Werdegang?

Beide [lächeln]: Sie sind unheimlich stolz.

Was vermisst ihr an eurer Heimat?
Hani Shaker: Die erste Zeit in Deutschland war viel von Heimweh geprägt, es war zunächst alles fremd. Wir hatten zuvor andere Zukunftspläne und ein anderes Leben. Aber dann ging es schrittweise immer besser. Nachdem wir eine gewisse Zeit in Deutschland gelebt haben, haben wir uns daran gewöhnt. Wir fühlen uns in Ulm sehr wohl und wir haben uns hier ein neues Leben aufgebaut. Dieses möchte ich auch nicht mehr aufgeben, ich sehe unsere Zukunft hier. Nach 8 Jahren bin ich im Frühjahr noch mal in meine Heimat gereist. Und ich sehe es so, dass ich zwei Leben habe: eins im Irak und eins in Deutschland. Beide Länder kann man so nicht miteinander vergleichen. In jedem Land führten oder führen wir ein anderes Leben mit einer anderen Kultur. Was natürlich super ist, dass wir in Deutschland viele irakische Produkte bekommen und somit ein wenig das irakisch-heimische Gefühl hier haben.
Gergo Shaker: Wir sind mittlerweile eingebürgert und konnten im April für zwei Wochen in unsere Heimat zu Besuch fahren.

Was findet ihr an Ulm so toll?
Hani Shaker: Ulm ist für mich wie eine Heimat geworden. Wir haben hier alles, was wir brauchen und können viel unternehmen. Auch durch unsere Schul- und Ausbildung haben wir alle Möglichkeiten. Wir sind sehr zufrieden hier.

Könnt ihr euch vorstellen, wieder in den Irak zurückzukehren?
Hani Shaker: Wir sind in Deutschland sehr zufrieden und haben uns in Ulm was aufgebaut. Durch die Selbstständigkeit hat sich mein Wunsch verstärkt, in Ulm zu bleiben. Ich habe mein Leben hier und daher sehe ich mich hier langfristig.
Gergo Shaker: Es besteht immer die Gefahr, dass es irgendwann wieder in unserer Heimat Krieg geben könnte. Wir fühlen uns hier sehr wohl und besuchen gerne unsere Heimat, aber unser Leben ist hier in Ulm.

Sich in einem fremden Land alles wieder von null auf aufzubauen, stelle ich mir sehr schwierig vor. Woher nehmt ihr eure Disziplin und eure Zielstrebigkeit?
Gergo Shaker: Wir wussten, dass wir in Ulm bleiben wollten, und deshalb waren wir zielstrebig und haben alles darangesetzt, unsere Ziele erreichen. Ich will nach der Ausbildung auch meinen Meister machen.
Hani Shaker: Für mich war immer wichtig, dass ich ein Ziel habe und fokussiert darauf hinarbeite. Ich lebe nach dem Motto: „Wenn Du ein Ziel hast, dann kannst Du alles erreichen. Du musst Dich auch anstrengen, dann ist alles möglich.“

Der Irak ist ein Land, das seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommt und keinen langfristigen Frieden findet. Das Land ist geprägt von jahrzehntelanger Gewalt, Krieg und Terror. Von 1980 bis 1988 fand der Erste Golfkrieg zwischen Iran und Irak, von 1990 bis 1991 der Zweite Golfkrieg zwischen Irak und Kuwait sowie ab 2003 der Dritte Golfkrieg, eine Militäroperation der USA, statt. 2003 wurde der Langzeitdiktator Saddam Hussein von den USA gestürzt. Seitdem gab es immer wieder neu aufkommende Bürgerkriege und religiöse Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten, 2014 Krieg gegen die Schreckensherrschaft des Islamischen Staates (IS) sowie weitere Konflikte. Zwar verkündete die irakische Regierung 2017 den Sieg über den IS, allerdings ist diese Terrorgruppe nach wie vor eine große Bedrohung. Sie lebt im Untergrund, meist in ländlichen Gegenden, und verübt weiterhin Anschläge. Die langen Kriege haben bis heute deutliche Spuren innerhalb des Landes hinterlassen, obwohl der Sturz Husseins sich in diesem Jahr zum 20. Mal jährte: Der Irak hat bisher keine innerpolitische Stabilität und kämpft weiterhin u. a. gegen Korruption, die Spaltung der irakischen Gesellschaft, bewaffnete Milizen und den IS. Zudem haben viele Irakerinnen und Iraker kein Vertrauen mehr in die Politik, die humanitäre Situation für die Einheimischen hat sich nicht verbessert.

Viele Irakerinnen und Iraker flüchten seit Jahrzehnten vor der täglichen Gewalt in ihrer Heimat. 2012 waren die irakischen Flüchtlinge die drittgrößte anerkannte Flüchtlingsgruppe weltweit.