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Interview mit Waltraud Kiesling, Standesbeamtin

Trauraum im Ulmer Rathaus

In unserer Serie "Erzähl doch mal..." berichten Ulmerinnen und Ulmer von ihren Erlebnissen und Erfahrungen während der Corona-Pandemie. Für die dritte Folge haben wir mit Waltraud Kiesling gesprochen. Sie ist Standesbeamtin im Ulmer Rathaus und hat schon viele Paare getraut.

Welche Besonderheiten gab es in Ihrem Beruf während der Corona-Zeit?
Es gab in diesem Jahr Situationen, die wir bisher so wie viele andere noch nicht erlebt haben. Eine Hochzeit bedeutet immer einen großen Organisationsaufwand, besonders wenn man Dokumente aus dem Ausland besorgen muss. Das war natürlich für viele bitter, die alle Dinge erledigt und die gesamte Feier bis ins Detail geplant hatten, aber dennoch die komplette Hochzeit absagen mussten. Natürlich hatten wir im Jahr 2020 deutlich mehr Absagen oder Terminverschiebungen als vorher.

Wie hat sich die Pandemie auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Was sehr traurig war: Es gab Paare, deren Eltern und Familienmitglieder im Ausland leben und die nicht zur Hochzeit ihres nächsten Angehörigen einreisen durften bzw. konnten. Viele haben ihre Trauung deshalb abgesagt, andere haben dadurch im kleinen Kreis geheiratet - ohne die engen Familienmitglieder. In dieser besonderen Situation haben wir ein Auge zugedrückt und lassen den rechtlichen Teil der Trauung ausnahmsweise mitfilmen. So konnten Familienmitglieder aus dem Ausland sich das später anschauen.

Wie haben Sie die Paare während der Pandemie wahrgenommen?
Es gab auch interessante Erkenntnisse für manche Paare: Diejenigen, die sich letztlich für eine Hochzeit zu zweit entschieden haben, konnten feststellen, dass auch diese Zeremonie sehr schön und intim sein kann. Es muss nicht immer eine große Gesellschaft sein, um tiefste Freude zu empfinden und sich glücklich zu fühlen. Eine Hochzeit ist viel tief­gründiger. Als Paar lebe ich den Alltag nicht mit der gesamten Hochzeitsgesellschaft, sondern muss mich dem Lebens­anforderungen stellen, darin wachsen und reifen.

Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Wir haben eine ganz besondere Situation erlebt, die uns zum Schmunzeln brachte: Vor einer Heirat sagen wir derzeit, dass maximal zehn Personen mitkommen dürfen. Als ein Paar geheiratet hat, haben sich währenddessen ca. 20 zu­sätzliche Gäste im Foyer versammelt und einen Sektempfang ver­anstaltet. Das Paar und die Gäste stammten aus einem Kulturkreis, der auf Alkohol verzichtet. Auf den Hinweis, dass diese Versammlung nicht erlaubt ist, meinten die Leute es sei doch aber alkoholfreier Sekt! Dabei ging es gar nicht um den Alkohol, sondern um die Anzahl der Personen.

Was ziehen Sie Positives aus dieser außergewöhnlichen Zeit?
Ich hoffe, dass die Menschen wieder bodenständiger werden und sich auf das besinnen, was im Leben wirklich wichtig ist. Gerade im Bereich Hochzeit hatte ich schon lange den Eindruck, dass jeder den anderen noch mehr übertrumpfen will. Es muss nicht immer das teuerste Kleid und die größte Hochzeitsparty sein. Dabei geht es um nichts anderes als um ein uneingeschränktes JA von zwei Menschen. Für das gesellschaftliche Leben nach Corona wünsche ich mir, dass die Menschen mit sich und anderen achtsam, hilfsbereit und respektvoll umgehen. Die Pandemie hat uns auch gelehrt, den Blick auf das Notwendige zu haben. Wir sollten mehr nach unseren Bedürfnissen schauen, uns selbst reflektieren und uns nicht ständig mit anderen vergleichen.

Das Interview wurde im Dezember 2020 geführt.