Navigation und Service

Springe direkt zu:

Erzähl doch mal: Interview mit Krankenpflegerin Romy Jasch

Wir haben im vergangenen Jahr Romy Jasch, Krankenpflegerin auf der Infektionsstation am Uniklinikum interviewt. Was sich seitdem für sie verändert hat und wie es ihr heute geht, verrät sie uns in einem Interview.

Frau Jasch, als wir das letzte Mal sprachen, gab es noch keinen Impfstoff, bzw. er wurde noch nicht ausgerollt. Was hat sich für Sie seitdem geändert?

Romy Jasch: Wir Krankenpfleger*innen gehörten zu einer der ersten Gruppen, die geimpft wurden. Jetzt sind wir natürlich intensiv am Boostern. Allerdings hat sich unser Alltag nicht verändert. Aktuell ist einfach kein Ende in Sicht, es ist unheimlich viel los. Die Impfung schützt uns vor schweren Verläufen. Lieber nehme ich die Nebenwirkungen der Impfung in Kauf als Long-Covid zu bekommen!
Ich bin erstaunt, wie viele Menschen in der 4. Welle nicht geimpft sind! Ich bin erschüttert drüber, dass über 80-Jährige sich nicht impfen lassen. Oft höre ich dann als Erklärung dafür, dass sie sowieso bald sterben werden oder schon viele Medikamente nehmen müssen. Es hat sich leider so ein Tunnelblick bei vielen Ungeimpften entwickelt. Wenn die Stationen mit Corona-Patienten überfüllt sind, dann müssen Menschen, die z. Bsp. einen schweren Autounfall hatten, in einer weiter entfernten Klinik behandelt werden, oder Krebstherapien müssen verschoben werden. Wir arbeiten hier am Anschlag. Wenn mal ein paar Patienten entlassen werden, kommen direkt neue hinzu.

Wie ist das für Sie, Ungeimpfte, deren Verlauf vermeidbar gewesen wäre, zu behandeln?

Romy Jasch: Wir machen gar keinen Unterschied in der Behandlung zwischen einem Geimpften und Ungeimpften. Kranken Menschen helfen ist mein Job. Ich mache ja auch keinen Unterschied zwischen einem Junkie oder Alkoholiker*in und einem "Nicht-Süchtigen". Ich versuche alle gleich zu behandeln. Ich verstehe meine Kolleg*innen, die genervt sind. Manche Ungeimpfte sehen ein, dass sie einen Fehler gemacht haben und andere lassen sich trotzdem nicht impfen. Es ist falsch, Menschen, denen ein schwerer Verlauf wiederfährt, mit Vorwürfen zu bombardieren. Solche Situationen sind schmerzhaft, da braucht es keine Belehrungen. Ich kann mir die ganzen Fake-News nicht durchlesen. Botschaften, dass die Kliniken angeblich leer stehen, machen mich wütend.

Was sind im Alltag Ihre Beobachtungen? Wie unterscheiden sich Geimpfte und Ungeimpfte?

Romy Jasch: Ich persönlich habe noch keinen Geimpften erlebt, der einen schweren Verlauf hat. Geimpfte, die einen Durchbruch haben, kommen nicht oft vor. Bei Impfdurchbrüche mit einem schweren Verlauf handelt es sich in der Regel um Immunkranke mit einer Nierentransplantation, Krebserkrankung, schwer herzkranke Menschen etc.
Wir Pflegekräfte werden von den Impfgegnern belächelt. Man hat solange nichts mit Corona zu tun, bis man was damit zu tun hat. Wir arbeiten am Limit, tragen den ganzen Tag Maske und Arbeitskleidung und können kaum verschnaufen. Wir betreten die Zimmer mithilfe von Schleusen, müssen uns locker 30 Mal am Tag umziehen.
Ich finde es sehr schade, dass wir Richtung Impfpflicht gehen. Leider geht es ohne Pflicht nicht mehr. Es ist traurig, dass diese Impfgegner nicht auf ihre Mitmenschen und auf unser Gesundheitssystem achten. Wenn sich Menschen bewusst nicht impfen lassen, dann sollen sie auch zu den Konsequenzen stehen und keine Impfpässe fälschen.

Frau Jasch, Ihre Berufsgruppe kommuniziert seit über zwei Jahren klar, was sie benötigen, damit Sie und Ihre Kolleg*innen sich wertgeschätzt fühlen und sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Was denken Sie darüber?

Romy Jasch: Ich fühle mich nicht ernst genommen. Wir drehen uns seit langem im Kreis. Es hat sich nichts geändert. Die Bedingungen werden immer schwerer, denn viele Kolleg*innen haben den Beruf gewechselt. Wir brauchen Ruhephasen, die wir nicht haben. Wir können uns nicht erholen. Die jüngere Generation macht diesen Job nicht langfristig, viele sind nach der ersten Welle gegangen. Die Arbeit muss attraktiv gestaltet werden, es muss Erholungsphasen geben, die Arbeit muss Spaß machen. Ich habe glücklicherweise ein tolles Team, wir haben einen freundschaftlichen Umgang miteinander.

Ich habe Sie vor einem Jahr gefragt, ob Sie diesen Job mit dem Pandemiewissen noch mal machen würden. Sie bejahten sehr klar. Wie sieht es jetzt in der 4. Welle aus?

Romy Jasch: Auf jeden Fall würde ich den Beruf sofort wiederwählen. Aber ab einem gewissen Alter ist dieser Job sehr kräftezehrend, die Belastung ist sehr hoch und die Stimmung kippt. Ich habe selbst ab Januar meine Stunden auf 85% reduziert, weil es mich sehr viel Kraft kostet. Ich denke mit Schrecken daran, wenn ich mal älter bin und Pflege benötige, wie das dann aussehen soll. Es ist jetzt schon schlimm. Aus meiner Sicht ist es auch nicht zielführend, wenn BWLer uns ausrechnen, wie wenig Zeit wir für die Patienten pauschal aufwenden müssen, um schnell zu arbeiten. Wir haben keine Fließband-Tätigkeit. Wir müssen die Patienten alle individuell behandeln, das geht nicht in zwei Minuten. Patienten müssen ordentlich versorgt werden. Wenn jemand eine akute Atemnot bekommt, dann ist das nicht in 10 Minuten erledigt.
Ich kann die Parolen wie "Haltet bitte durch" nicht mehr hören. Aktuell ist es leider so, dass sich jeder der Nächste ist, das sieht man bei den Impfgegnern.

Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit noch Spaß?

Romy Jasch: Ich liebe die Arbeit mit Menschen, ich begleite Menschen gerne bei schweren Krankheiten, auch bis zum Ende. Ich würde immer wieder Krankenschwester werden, das ist einfach mein Ding! Seit Wochen ist die Dauerbelastung sehr hoch und ich wünsche mir sehr, dass sich immer mehr Menschen impfen lassen, um diese Belastung zu verringern. Neben dem Gesundheitssystem wird die Wirtschaft enorm geschädigt, das darf man auch nicht vergessen. Mir tut das alle sehr leid für diese Berufsgruppen, die es jetzt besonders schwer haben. Gastronomen, Clubbesitzer etc. haben sich gerade erholt und nun ist es wieder schwierig für bestimmte Branchen.

Was wünschen Sie sich für Ihre Berufsgruppe?

Romy Jasch: Verständnis, Anerkennung, Wertschätzung. Nicht nur Klatschen, sondern aktiv etwas tun und verändern. Es müssen mehr Menschen dazu bewegt werden, sich impfen zu lassen, damit wir endlich wieder zur Normalität zurückkehren können. Covid wird uns - meiner Meinung nach - noch begleiten, wir werden uns wahrscheinlich regelmäßig impfen lassen müssen. Ich wünsche mir sehr, dass die Pandemie bald ein Ende hat.

Haben Sie Empfehlungen für die Weihnachtstage?

Romy Jasch: Ich verstehe, dass jeder seine Familie an Weihnachten treffen möchte. Das würde ich aber auf ein Minimum beschränken. Während der Weihnachtszeit sollte man sich überlegen, mit wie vielen Menschen man sich trifft. Menschen mit Krankheitssymptomen müssen zuhause bleiben und nicht aus Egoismus auf die Feste gehen. Ich empfehle die Impfung absolut. Starke Impfreaktionen oder schwere Nebenwirkungen sind extrem selten.

Vielen Dank für das Interview, Frau Jasch.