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Die Ulmer Sammlung 1230-1808

Hauptgebäude der Sammlung in der Frauenstraße

Hauptgebäude der Sammlung in der Frauenstraße

Die Ulmer Sammlung war eine freie, wirtschaftlich unabhängige und sozial engagierte Frauengemeinschaft, die sich zur Lehre des Franz von Assisi bekannte. Ihre Gründung auf dem Münsterplatz fällt in die Zeit der Beginenbewegung, die im 12./13. Jahrhundert von Nordfrankreich ausgehend europäische Frauen zum aktiven Christentum und sozialer Verantwortung mobilisierte. Urkunden besagen, dass die Sammlung mit „Schwestern aus Beuren“ gegründet wurde, vermutlich auf dem Anwesen einer Ulmerin, mitten im Zentrum der aufstrebenden Reichsstadt. In der Sammlung lebten vor allem gebildete Töchter aus dem Patriziat und wohlhabenden Bürgertum, ehrbar, aktiv und frei, diese wieder zu verlassen, z.B. um zu heiraten. Ihr Vermögen brachten die Frauen in die Gemeinschaft ein. Die wirtschaftliche Entwicklung, geschäftliche Verbindungen, z.B. mit der sozial engagierten Patrizierin Adelheid von Sulmetingen, und der gesellschaftliche Status der Sammlung sind seit 1284 gut dokumentiert.

Die Sammlungsfrauen wählten aus ihrer Mitte eine Meisterin, die die Leitungsfunktion inne hatte und in der Verwaltung und Wirtschaftsführung von kompetenten Amtsschwestern unterstützt wurde. Diese übernahmen verschiedene Verwaltungsaufgaben, beispielsweise die „Kornmesserin“ den Bereich der Landwirtschaft, die Schreiberin den Schriftverkehr und das Archiv und die Obleierin die Finanzen und die Verwaltung der Stiftungsgelder. Wichtige Entscheidungen mussten im Konsens mit allen Schwestern getroffen werden. Nach dem Verbot der Beginengemeinschaften 1311 durch Papst Clemens V. regelten „Meisterin Agnes von Halle und alle Schwestern“ im Einvernehmen mit der Stadt 1313 in einem Vertrag die Beziehung zu ihren Seelsorgern im Barfüßerkloster. Stolz betonen die Frauen, dass sie „alle Bürgerinnen sind und Bürgerrechte haben“.

Bezeichnend ist, dass sie den Franziskanern in religiösen Dingen bis 1488 gehorsam waren, jedoch den Anschluss an den Orden stets abgelehnt haben. Die Zahl der Bewohnerinnen wurde 1344 in der Amtszeit der Meisterin Guta Steiger in Absprache mit Stadt und Bürgerschaft auf zwölf Frauen begrenzt, das Mindestalter beim Eintritt betrug zwölf Jahre, das Mitbestimmungsrecht begann mit dem 15. Lebensjahr. Die Mädchen erhielten Unterricht und wurden für die Aufgaben als Amtsschwestern geschult.

1387 wurde die Sammlung in die vornehme Frauengasse, heute Frauenstraße 22/24, verlegt. Altbürgermeister Lutz Krafft, der am 30. Juni 1377 den Grundstein zum Münster legte, und sein Bruder Otto hatten den Frauen das Anwesen mit stattlichem Haupthaus, Wirtschaftsgebäuden und Gärten für 1.100 Gulden verkauft. Die Frauen wurden von der Stadt für den Verlust ihres Eigentums auf dem Münsterplatz finanziell entschädigt. Lutz Krafft bezog mit seiner Ehefrau Elisabeth Ehinger das herrschaftliche Wohnhaus "Ehinger Hof", heute Grüner Hof 2, von dem noch der "Meistersingersaal" erhalten ist.

Ulmer Frauen - Vertragspartnerinnen im 14. Jahrhundert
Ein Privileg für Töchter aus der Oberschicht? Keineswegs – weibliche Arbeitskraft und Kompetenz waren gefragt. Nach Regularien für die expandierende Textilproduktion von 1346 konnte jeder Fremde - "er sei Frau oder Mann"- das Weberhandwerk in Ulm nach den geltenden Bestimmungen ausüben. Der Hinweis "Frau oder Mann" war im sogenannten finsteren Mittelalter durchaus üblich in städtischen Verordnungen. Im Stadtarchiv zeugen Dokumente von erwerbs- und berufstätigen Frauen, die am wirtschaftlichen Aufschwung von Ulm im 14./15. Jahrhundert Anteil hatten: Über 80 Berufs- und Erwerbstätigkeiten von Frauen sind belegt.

Frauen waren aber auch sozial und kulturell engagiert und unterstützten Spital, Waisenhaus, Schulen, den Münsterbau und bedürftige Menschen. Die noch weitgehend unerforschten Urkunden und Testamente von zahlreichen Stifterinnen belegen: "Ulmer Geld" war bei Ulmerinnen in guten Händen. Politische Ämter waren allerdings den Männern vorbehalten. Das hat Frauen aber nicht daran gehindert politisch zu denken und Einfluss zu üben. 1378 gründeten drei Sammlungsschwestern den Konvent der Terzianerinnen in Oggelsbeuren. Die Ulmerin Verena Baldenstein verfasste dort um 1417 ihre erste umfassende religiöse Schrift und beschloss diese sehr selbstbewusst: "Wer dieses Buch liest oder wem es vorgelesen wird, der gedenke Verenen von Oggelsbeuren - sei sie am Leben oder tot - die dieses Buch geschrieben hat."

Der wirtschaftliche Erfolg blieb der Sammlung treu. 1406/1410 kauften die Frauen von den Patriziern Roth und Landauer das Dorf Ersingen, mit 14 Höfen und 30 kleineren Anwesen, 1421 den Großteil der Höfe und Werkstätten in Asselfingen. Damit wurde ihnen das Herrschaftsrecht zugesprochen, d.h. Meisterin und Schwestern trugen die Verantwortung für Recht und Ordnung einschließlich der Verhängung von Strafen bei Rechtsvergehen der Dorfbewohner. Mit dem erwirtschafteten Gewinn förderten die Sammlungsfrauen das Sozial- und Bildungswesen in Ulm, z.B. Finanzierung der täglichen Verpflegung von 60 Schülern und Vergabe von Stipendien an arme Studenten.

Als Beispiel sei hier Bartholomäus Haage, Hofprediger in Stuttgart, genannt. Dankbar dachte er an Ulm zurück, wo er als "Findelkind" von der Schwester Barbara Eckard im benachbarten Heiliggeistspital adoptiert wurde, die Lateinschule besuchte und mit Hilfe der Sammlungsfrauen in Tübingen studieren konnte.
Felix Fabri, der erste Stadtchronist, berichtet 1490, dass die Ulmer Sammlung auch Herberge für durchreisende Frauen und Pilgerinnen war. Die Pilgerinnen wurden von den Sammlungsfrauen zu Ulmer Kirchen, Kapellen und zum Klarissenkloster nach Söflingen geführt. Letztlich gehörten - neben den zwei Dörfern - 17 Höfe in verschiedenen Ortschaften und 21 Grundstücke, samt einer Mühle in der Stadt, zum Großgrundbesitz der Sammlungsfrauen. Die Bürgerinnen in der Ulmer Sammlung weisen sich damit als kluge Unternehmerinnen aus. Durch Handel mit Immobilien, landwirtschaftlichen Erzeugnissen sowie die Produktion von Nahrungsmitteln und Hostien haben sie ihr Vermögen seit dem 13. Jahrhundert ständig vergrößert.

Ende des 15. Jahrhunderts verstärkte sich der Druck von Kirche und Staat auf die weibliche Bevölkerung "spürbar". Die Ulmer Sammlungsfrauen wehrten sich gegen die Beschneidung ihrer verbrieften Rechte und Freiheiten. 1488 kündigten die Schwestern den Vertrag von 1313 mit den Franziskanern und verwahrten sich mit Erfolg gegen die Einmischung des Kaisers in ihre Belange. Aber auch andere Frauen wurden in Ulm aktiv und setzten sich für ihre Rechte ein: Die Metzgerinnen erreichten 1491, dass der Rat das ihnen erteilte Berufsverbot wieder aufhob. Ein volles Jahr hatten sie öffentlich protestiert. Dennoch nahm die schleichende Verdrängung der Frauen aus Handel und Gewerbe, aus Berufs- und Erwerbstätigkeit ihren Fortgang.
Nach der Reformation 1531 lebten mit Zustimmung der Stadt auch katholische Frauen in der Sammlung. 1536 sicherte ein Ratsbeschluss den Fortbestand der Gemeinschaft als evangelisches Damenstift, das allein dem Rat der Stadt unterstellt war. Damit entging die Ulmer Sammlung dem Schicksal anderer Beginengemeinschaften, die damals in anderen Städten aufgelöst wurden.

Verlust der Selbstverwaltung
Der Dreißigjährige Krieg und die Pest 1635 brachten der Reichsstadt den wirtschaftlichen Ruin und der Sammlung schließlich das Ende der 400-jährigen Eigenständigkeit. Die Frauen konnten nicht verhindern, dass die Stadt die Verwaltung übernahm, 1654 die Meisterin Anna Katharina Neithart absetzte und ihr Amt einem Hofmeister übertrug. Die „Meisterin und Schwestern“ blieben aber nominell Eigentümerinnen des „Sammlungsstifts“, und Verträge wurden weiterhin in ihrem Namen abgeschlossen.

Kultureller Höhepunkt im 18. Jahrhundert
Mit Barbara Kluntz (Titelbild) erlangte die Sammlung im 18. Jahrhundert neue Bedeutung. Die Kirchenmusikerin und Komponistin war bei ihrer Aufnahme 1704 bereits eine hochangesehene Musikpädagogin. Auch als „versorgte Stiftsdame“ blieb sie bis zu ihrem Tode 1730 berufstätig und machte die Sammlung zum Treffpunkt literarisch gebildeter Frauen.
Um 1760 veranlassten Stiftsdamen die Erneuerung der Franziskuskirche in Ersingen. Die Wappen von Karoline von Breitschwert, Anna Wickh, Sibylla Harsdörfer, Katharina von Lötzen-Seutter sind letzte authentische Zeugnisse von Sammlungsfrauen, die 600 Jahre Stadtgeschichte mitgestaltet haben.

Vom Frauenstift zur Sammlungsschule
Nach Ende der reichsstädtischen Zeit 1802 wurde die Sammlung 1808 aufgelöst und von der Evangelischen Kirchengemeinde u.a. als Pfarramt und für Religionsunterricht genutzt. 1870 bezog die Weitzelsche Höhere Privatschule für Mädchen den Neubau im Garten.
1878 wurde die "Sammlungsschule" von der Stadt übernommen und war damit die erste öffentliche Höhere Mädchenschule in Württemberg. Frauenverbände erreichten, dass der Gemeinderat nach anfänglichem Widerstand die Sammlungsschule 1930 zum Gymnasium erhob.
1940 beendete Sophie Scholl hier ihre Schulzeit mit dem Abitur. Die Geschichte, die sich hinter dem Namen der "Sammlungsschule" verbirgt, war in Ulm völlig vergessen.
Am 17. Dezember 1944 zerstörten Bomben den gesamten Gebäudekomplex. Die Sammlungsschule wurde in die Wagnerschule verlegt, die heute den Namen Hans und Sophie Scholl-Gymnasium trägt.