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Hans und Sophie Scholl

Schwarz-weiß-Foto der beiden jungen Erwachsenen Hans und Sophie Scholl

© Deutsches Historisches Museum, Berlin / Stadt Ulm

„Freiheit!“ Mit diesem Ruf schritt Hans Scholl am Montag, dem 22. Februar 1943 gegen 17 Uhr im Vollstreckungsgefängnis München-Stadelheim zum Schafott, um seiner Schwester Sophie in den Tod zu folgen. Wenige Stunden zuvor hatte Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofes, Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt. Sie gehörten der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ an, deren Mitglieder Alexander Schmorell, Kurt Huber und Willi Graf am 19. April abgeurteilt und Monate später hingerichtet worden sind.

Stele mit dem Zeichen einer weißen Rose

© City of Ulm

A stele at the edge of Münsterplatz commemorates the White Rose resistance group.

Die Geschichte der „Weißen Rose“ begann 1942 in München. Dort hatten sich im Herbst 1940 der 22-jährige Ulmer Medizinstudent Hans Scholl und der ein Jahr ältere Alexander Schmorell kennengelernt. In dessen Wohnung diskutierten sie mit Gleichgesinnten, darunter Schmorells Schulfreund Christoph Probst, über Theologie, Philosophie, Moral und Literatur.

Den Entschluss, dem NS-Staat aktiven Widerstand entgegenzusetzen, mögen anonyme Flugblätter ausgelöst haben, welche die Familie Scholl in ihrem Briefkasten gefunden hatte. Sie enthielten die Predigten des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, der über die Vernichtung von Geisteskranken informierte und zum Durchhalten gegen den braunen Terror aufrief. Diese Flugblätter hatte der Ulmer Gymnasiast Heinz Brenner von Oktober 1941 an verschickt. Er war Klassenkamerad von Hans Hirzel und Franz Müller, die später helfen sollten, die Flugblätter der Weißen Rose zu verbreiten und dafür im zweiten Weiße-Rose-Prozess von Freisler ins Gefängnis geschickt worden sind.

Außenansicht der Martin-Luther-Kirche mit Kirchturm, danaben eine Innenaufnahme der Orgel

© City of Ulm

Leaflets from the "White Rose" were hidden in the organ chamber of the Martin Luther Church.

„Flugblätter der Weißen Rose“, so waren die ersten vier Aufrufe überschrieben, die Scholl und Schmorell in den Monaten Mai und Juni 1942 verbreiteten. Der erste beginnt mit den Worten: „Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ,regieren' zu lassen.“ Er gipfelt im Aufruf, passiven Widerstand zu leisten.

Das zweite Flugblatt berichtete über die Ermordung von 300 000 polnischen Juden: „Hier sehen wir das fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen, ein Verbrechen, dem sich kein ähnliches in der ganzen Menschheitsgeschichte an die Seite stellen kann.“ Das dritte Flugblatt rief zur Sabotage auf, das vierte endet mit den Worten „Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!“

Ende Juli bis Anfang November 1942 waren Schmorell und Scholl an die Ostfront abkommandiert, zusammen mit dem 24-jährigen Saarbrückener Medizinstudenten Willi Graf, den sie aus der Münchener Studentenkompanie kannten. Der beteiligte sich nach der Rückkehr an ihren Aktionen; ebenso Hans Scholls Schwester Sophie, die im Mai 1942 in München ihr Studium begonnen hatte. Im Dezember nahmen Scholl und Schmorell Kontakt zu dem 49-jährigen Musikwissenschaftler Prof. Dr. Kurt Huber auf, der das fünfte, von Hans Scholl verfasste Flugblatt redigierte. Dessen Ton war deutlich schärfer. In der Überschrift war die „Weiße Rose“ ersetzt durch „Widerstandsbewegung in Deutschland“. Tatsächlich suchte die „Weiße Rose“ Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen.

Die sechste und letzte Flugschrift nahm die Niederlage von Stalingrad zum Anlass, zum Kampf gegen die NSDAP aufzurufen. Hans und Sophie Scholl legten es am 18. Februar 1943 vor den Hörsälen der Münchner Universität aus. Als Sophie den Rest vom zweiten Stock in die Eingangshalle hinabwarf, wurden sie entdeckt und verhaftet; danach die anderen Angehörigen der „Weißen Rose“. Der engere Kreis wurde hingerichtet. Die Ulmer Schüler Hans und Susanne Hirzel, Franz Müller und Heinrich Guter sowie weitere Freunde, die sich an der Verbreitung der Flugblätter beteiligt oder als Mitwisser galten, wurden zu Haftstrafen verurteilt.

Robert Scholl

© City of Ulm

Father Robert Scholl was mayor of Ulm for a short period after World War II.

Was hatte Hans und Sophie Scholl bewogen, derart leichtfertig nicht nur sich selber, sondern auch ihre Freunde dem Scharfrichter auszuliefern? Die Antwort liegt in den vielschichtigen Persönlichkeiten der Geschwister. An ihren ausgeprägten Charakteren hatten sich in Ulm die Geister lange vor der Zeit der Weißen Rose geschieden. Hans und Sophie waren schon aufgefallen, als sie aktiv und in leitender Position der Hitlerjuged (HJ) angehörten. Ihr Verhalten, ihre Kleidung, ihr Haarschnitt waren eine Absage an das Spießertum.

Die Eltern Robert und Magdalene Scholl waren mit ihren fünf Kindern 1932 von Ludwigsburg nach Ulm gezogen. Vater Robert Scholl (1891 – 1973) war Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Er hatte 1917 in Ingersheim die Stelle des Bürgermeisters übernommen, wo am 11. August 1917 seine Tochter Inge und am 22. September 1918 sein Sohn Hans zur Welt kamen. 1920 wurde er Bürgermeister in Forchtenberg am Kocher, wo am 27. Februar 1920 Tochter Elisabeth, am 9. Mai 1921 Sophie und am 13. November 1922 der jüngste Sohn Werner geboren wurden.

Als Hitler im Frühjahr 1933 an die Macht kam, drängte es die Scholl-Kinder – gegen den erklärten Willen ihres Vaters – zur Hitlerjugend. Die Gründe nennt Inge Aicher-Scholl in ihrem Buch „Die Weiße Rose“. Hitler, so habe es geheißen, wolle dem Vaterland zu Größe und Wohlstand verhelfen. Hinzu kamen „die kompakten Kolonnen der Jugend mit ihren wehenden Fahnen, den vorwärtsgerichteten Augen und Trommelschlag und Gesang“. Dieser Gemeinschaft wollten sie angehören.

Bald nahmen die Scholl-Kinder in der Hitlerjugend Führungsposten ein. Vor allem Hans und Sophie verlangten sich und den anderen mit Mutproben und Härtetests das Äußerste ab. Das brachte ihnen bei den einen begeisterte Bewunderung ein, bei andern Ablehnung. Es gab Kinder und Jugendliche die vor Hans und Sophie Scholl regelrecht Angst hatten. Als typisch für Hans galten seine extrem kurzen Hosen, die er gern auch im Winter trug. Andere Jungen eiferten dem „schneidigen“ Hans nach – zum Kummer ihrer besorgten Eltern.

Sophies Knaben-Haarschnitt hinten kurz, vorne lang hob sich deutlich von den Zöpfen ihrer Altersgenossinnen ab. Er ermöglichte ihr, ohne mädchenhafte Rücksichtnahme auf die Frisur, gleich ihrem Bruder auf die höchsten Baumwipfel zu klettern und sich bei Geländespielen durch die Büsche zu schlagen. Das alles verschaffte der damals 14 bis 15-Jährigen die Bezeichnungen „Buabamädle“ (Bubenmädchen) oder einfach „d'r Bua“ (der Bub). Bei alledem unterzogen sie ihr privates Umfeld einer elitären Auswahl. Nicht jeder erschien ihnen würdig, mit ihnen zusammen ihre Ideale zu verfolgen.

Stelen mit Infotexten und Fotos aus der NS-Zeit in der Ulmer Volkhochschule

© City of Ulm

An exhibition in the adult education centre portrays Hans, Sophie and 26 other young people from Ulm who came into conflict with the Nazi regime.

Das entsprach den Zielen der Deutschen Jungenschaft, kurz dj.1.11, die am 1. 11. 1929 in Stuttgart von Eberhard Koebel – genannt „tusk“ – gegründet und 1934 wie die anderen Gruppen der Bündischen Jugend aufgelöst worden war. Doch sie wirkte innerhalb der Hitlerjugend weiter. Das Ulmer Jungvolk, zu dem Hans Scholl im Oktober 1933 stieß, war von einem ehemaligen Mitglied der dj.1.11 in deren Stil aufgebaut worden, der Scholl prägen sollte. Die russischen und sonstigen von Fernweh und Freiheit geprägten Lieder, die Literatur, die Hans und Sophie Scholl begeisterten, waren das jugendbewegte Gedankengut von „tusk“, der in seinen Schriften eine weiße Rose als Symbol für die Musen verwendet hatte.

Doch allmählich trat der Widerspruch zur Linie der Hitlerjugend auf. Beim Reichsparteitag 1935 in Nürnberg, wo Hans Scholl als Fahnenträger 4000 Ulmer Jugendliche repräsentierte, begann er zu begreifen, dass die tatsächlichen Ziele der Hitlerjugend wenig gemein hatten mit der romantischen Freiheit, die er meinte. Und so gründete er mit seinem Fähnlein innerhalb der HJ eine dj.1.11-„Horde“ von etwa zehn Schülern. Die Folge war, dass er und alle seine Geschwister 1937 für einige Stunden verhaftet wurden. Gegen Hans wurde ein Verfahren wegen Fortsetzung der bündischen Jugend und homosexueller Kontakte eingeleitet, doch ein gnädiger Richter sprach ihn frei. Es folgte die Hinwendung der Geschwister Scholl zur Religon. Die Freundschaft mit dem jungen Otl Aicher aus Ulm-Söflingen, der dem katholischen Widerstand nahestand, die Begegnung mit Theologen wie Theodor Haecker und Carl Muth fanden ihren Niederschlag in den Texten der „Weißen Rose“.

Zwei Büsten aus Bronze, eine davon zeigt Hans Scholl, die andere Sophie Scholl

© City of Ulm

The busts of Hans and Sophie in the Stadthaus Ulm were created by Otl Aicher.

Nach der Hinrichtung von Hans und Sophie wurde die Familie Scholl vorübergehend in „Sippenhaft“ genommen – außer Werner. Der musste an die Ostfront, von der er nicht zurückkehrte. Der Vater wurde zu 18 Monaten Haft verurteilt. Die Ulmer Lokalpresse eröffnete eine gnadenlose Hetzkampagne gegen die Familie, die daraufhin in den Schwarzwald übersiedelte. Nach Kriegsende ernannten die Alliierten Robert Scholl am 7. Juni 1945 zum Oberbürgermeister von Ulm. Er blieb nur bis 1948 im Amt.

Die Geschwister Scholl und ihr Umfeld haben in Ulm nachhaltige Spuren hinterlassen. Inge Scholl heiratete 1952 Otl Aicher (1922 – 1991). Der spätere Designer von Weltruf hatte seit Herbst 1939 mit den Geschwistern Scholl in Kontakt gestanden. Nach dem Krieg hat er wesentlich zur Wiederbelebung des Ulmer Geisteslebens beigetragen und gilt als „spiritus rector“ der Ulmer Volkshochschule, die 1946 gegründet und von Inge Scholl geleitet wurde.

Otl Aicher war auch Gründungsmitglied der legendären Ulmer Hochschule für Gestaltung (hfg), die er zusammen mit Inge Scholl und Max Bill konzipiert hatte. Doch die Idee zu dieser Einrichtung wäre ohne die Hilfe der Amerikaner kaum zu verwirklichen gewesen. Sie zahlten eine Million Mark in die „Geschwister-Scholl-Stiftung“, die Inge Scholl 1950 gegründet hatte. Der Name der Geschwister Scholl war ihnen Garantie, dass die Mittel im Sinne der neu gewonnenen Freiheit verwendet würden, welche Hans und Sophie Scholl nicht mehr hatten erleben dürfen.

Text: Dr. Wolf-Henning Petershagen