Mission „Leben retten“ – 50 Jahre Rettungsspreizer
Ausstellung vom 1. September bis 15. Oktober 2023

Verschiedene Exponate zeichnen die Anfänge der Technologie und ihre Entwicklung bis hin zum neuesten Stand nach. Kurzfilme verdeutlichen, wie die Geräte in früheren Zeiten gehandhabt werden.
Die Jahre vor 1973
Welche technischen Hilfsmittel wurden vor dem Rettungsspreizer genutzt? Die Ausstellung erklärt es anhand von Exponaten.
Die Jahre ab 1973
In der Ausstellung sehen Sie den ersten Rettungsspreizer und lernen die Technik dahinter kennen.
Weiterentwicklungen bei der Feuerwehr Ulm
Erfahren Sie, was sich hinter weiteren Entwicklungen vom „Pedalschneider“ über das „Rabbit-Tool“ bis hin „zum Rettungszylinder“ verbirgt.
Traumateam e.V.
Der Verein „Traumateam“ stellt die Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und der Feuerwehr Ulm dar. Hier findet sich auch der erste Spreizer, der im Hubschrauber zum Einsatzort transportiert werden konnte.
5G: Stadt. Land. Leben retten
Das Forschungsprojekt 5G: Stadt. Land. Leben retten gibt Einblicke, wie die Rettung von Menschenleben mithilfe der 5G-Mobilfunktechnologie verbessert werden kann.
Aktuelle Rettungsspreizer
Die Firma „Weber Hydraulik/Weber Rescue Systems“ aus Güglingen bei Heilbronn präsentiert die Entwicklung der neuesten hydraulischen Rettungssätze.

Ausgangssituation
In den 1960er Jahren nahm die Zahl der Fahrzeuge auf den Straßen deutlich zu. Dadurch stieg auch die Zahl der Unfälle. Bereits damals waren die Feuerwehren ein wichtiges Glied in der Rettungskette. Ihre Aufgabe war es, Menschen aus Zwangslagen zu befreien. Dabei kamen immer häufiger technische Hilfsmittel zum Einsatz. Die Feuerwehren versuchten schon damals, ihre technische Ausstattung zu verbessern, um schneller und besser helfen zu können.
Um eingeklemmten Unfallopfern zu helfen, kamen bis 1973 motorbetriebene Trennschleifer und Metallsägen zum Einsatz. Diese Rettungsgeräte hatten den Nachteil, dass sie laut waren und damit zusätzlichen Stress für Unfallopfer und Rettungskräfte bedeuteten. Außerdem bestand die Gefahr von Funkenflug, der einen Brand auslösen konnte. Für die Eingeklemmten war das Vorgehen nicht ungefährlich.
Lösungsansatz der Feuerwehr Ulm
Die Feuerwehr Ulm läutete Anfang der 1970er Jahre mit ihrer Einführung eine „Rettungsschere“ europaweit einen entscheidenden Durchbruch und Wendepunkt in der technischen Unfallrettung ein.
Ausgangspunkt war eine „Kabelschere“, wie sie damals in der Kabelindustrie verwendet wurde. 1973 entstand die Idee, eine solche Kabelschere zur Befreiung von eingeklemmten Personen aus Fahrzeugen einzusetzen. Metall musste nicht mehr „geschnitten“, sondern nur mit großer Kraft „gebogen“ werden. Dadurch war es möglich, die Dachholme eines Fahrzeugs zu durchtrennen und die Dächer der Unfallfahrzeuge abzunehmen. Dies schaffte einen Zugang für den Rettungsdienst, der dann die medizinische Versorgung des Patienten übernehmen konnte.
Zunächst wurde nur eine „kleine Rettungsschere“ eingesetzt, wie aus internen Unterlagen der Feuerwehr Ulm hervorgeht. Diese wurde noch mittels einer Fuß- oder Handpumpe mit Muskelkraft geöffnet oder geschlossen. Etwas später kamen Elektroantriebe zum Einsatz.
Schneller und lebensrettend
Im Mai 1973 wurde das neuartige Rettungsgerät bei der Feuerwehr Ulm durch den Hersteller, die US-Firma Hurst, offiziell vorgeführt. Innerhalb von nur 48 Stunden fiel die Entscheidung zur Anschaffung einer „Hurst-Rettungsschere“ für die Feuerwehr Ulm – so überzeugend war die Demonstration. Intern hieß das neue Gerät „große Rettungsschere“.
Mit der „großen Rettungsschere“ dauerte es nur noch drei bis zehn Minuten, die Fahrzeuginsassen zu befreien. Die neue Methode war nicht nur schonender, sie war auch schneller, was im Notfall lebensrettend sein konnte.
Anfangs waren die kleine und große Rettungsschere auf einem LKW-großen Rüstwagen unterwegs. Damit man schneller und wendiger zum Einsatzort kam, entwickelte die Feuerwehr Ulm für die Unfallrettung ein eigenes Fahrzeug, das SRF (Schnell-Rettungs-Fahrzeug). Daraus entwickelte sich der VRW (Voraus-Rüst-Wagen), der heute in Baden-Württemberg weit verbreitet ist.
Kooperation mit der Bundeswehr/ Luftrettung
Bereits seit 1971 ist am Bundeswehrkrankenhaus Ulm ein Rettungshubschrauber stationiert. Die bis heute gute und enge Zusammenarbeit mit der Luftrettung führte zur Entwicklung des „Hubschraubersatzes“, eines Rettungsspreizers, der im Hubschrauber zum Einsatzort transportiert werden kann.
Auch diese Weiterentwicklung entwickelte sich aus einem konkreten Einsatz: Ende August 1974 waren ein herkömmlicher Rettungsspreizer, ein 5 kVA Stromgenerator und ein Feuerwehrmann spontan mit dem SAR-Rettungshubschrauber zu einem Verkehrsunfall bei Dischingen im Landkreis Heidenheim geflogen worden. Aufgrund der bei diesem Einsatz gewonnenen Erfahrungen wurde bereits einen Monat später ein Hydraulikaggregat mit Verbrennungsmotor beschafft, an das die Feuerwehr Ulm eine Halterung für einen 4,8 Meter langen Hydraulikschlauch montierte. Damit stand erstmals eine kompakte Einheit, der sogenannte Hubschraubersatz, für Einsätze zur Verfügung.
Sobald bei einer Alarmierung der Feuerwehr das Alarmstichwort „Hubschraubereinsatz“ fiel, fuhr ein Fahrzeug der Feuerwehr Ulm zum Landeplatz in der Wilhelmsburg-Kaserne der Bundeswehr. Zwei Feuerwehrmänner wurden samt ihrem transportablen Gerät mit dem Rettungshubschrauber zur Einsatzstelle geflogen. Dadurch war es möglich, den Einsatzradius bei der Befreiung eingeklemmter Personen weit über die Stadtgrenzen hinaus auszudehnen.
Panzerrettung als besonderer Einsatz
12. Juni
1976 - 19:36 Uhr: Alarm für den Hubschraubersatz, drei Einsatzkräfte
rücken aus. Der Rettungshubschrauber bringt Retter und Gerät zur 35km
entfernten Einsatzstelle. Auf dem Flug erfahren die Einsatzkräfte, dass
es sich um einen „Panzerunfall“ handle.
Bei diesem Unfall war ein
Kanonenjagdpanzer auf abschüssiger Straße ins Schleudern geraten und
über eine tiefe Böschung hinabgestürzt. Von der vierköpfigen Besatzung
waren bereits drei gerettet, aber der Panzerkommandant war durch das
Panzerrohr im Innern des Panzers eingeklemmt und schwer verletzt. Wegen
seiner starken Schmerzen wurde der Patient noch im Panzer medizinisch
erstversorgt, in eine Art Narkose versetzt und intubiert. Die hohen
Temperaturen im Panzerinneren und austretende Öldämpfe erschwerten und
behinderten die Versorgung und Bergung des Verletzten. Unfallopfer und
Retter mussten mit Atemschutzmasken versorgt werden.
Nachdem
mehrere Versuche, mit zwei Panzern das Rohr herauszuziehen, misslungen
waren, kam der Rettungsspreizer zum Einsatz: Doch die ersten Versuche
scheiterten ebenfalls. Erst der Hinweis eines hinzugekommenen
Waffenmeisters, den Spreizer ganz vorne einzusetzen, brachte die Wende.
90 Minuten nach dem Unfall konnte der Panzerkommandant aus der Luke
gehoben werden. Der Rettungsspreizer sei bis an die Grenze seiner
Leistungsfähigkeit eingesetzt worden, heißt es in den Unterlagen der
Ulmer Feuerwehr. Er hatte damit aber seine Tauglichkeit auch unter
Extrembedingungen eindrucksvoll bewiesen.
Die weitere Entwicklung
Der spätere stellvertretende Ulmer Feuerwehrkommandant Peter Mayer entwickelte die Haspel mit dem Hydraulikschlauch weiter. Durch diese Weiterentwicklung konnte anstelle eines 4,8 Meter langen Hydraulikschlauches ein 15 Meter langer Hydraulikschlauch, eine Spezialanfertigung, eingesetzt werden, der die Reichweite des Geräts deutlich erhöhte.
1978 erhielt die Feuerwehr Ulm einen Chevrolet Suburban und baute diesen als Nachfolger des bisherigen Schnell-Rettungs-Fahrzeugs (SRF) aus. Der neue Voraus-Rüst-Wagen (VRW) hatte den Vorteil, geländegängig zu sein, mehr Platz für technische Geräte und für die vier Einsatzkräfte zu bieten und er verfügte erstmals über einen fest eingebauten, vom Fahrzeugmotor betriebenen Generator für die hydraulischen Rettungsgeräte.
Wegweisende Idee für Europa
Heute sind hydraulische Rettungsgeräte Standardkomponenten bei der technischen Hilfeleistung. Die Idee hat in Ulm ihren Anfang genommen und ist – auch von der Ulmer Feuerwehr – im Alltag stetig angepasst und für neue Aufgabenstellungen (Seitenaufprallschutz, Airbags, Elektromobilität) fortentwickelt worden.
50 Jahre nach seiner Einführung in Ulm präsentiert sich der Rettungsspreizer technisch weiterentwickelt und leistungsfähiger als sein „Urahn“ von 1973. Heute sind bereits elektrisch betriebene Rettungsgeräte verfügbar. Dennoch war die Einführung des aus einer „Kabelschere“ entstandenen Rettungsspreizers durch die Feuerwehr Ulm ein wesentlicher und wichtiger Durchbruch in der technischen Unfallrettung bei den Feuerwehren in ganz Europa.